Illustration Eizelle Spermium

Fachartikel zum Thema Aufklärungsbilderbücher für Fachpublikum und Pädagog*innen. Gemeinsam mit Caroline Wunderlich. Erschienen 2010 in: Blattmann/Mebes (Hg.): Nur die Liebe fehlt …? Jugend zwischen Blümchensex und Hardcore. Sexuelle Bildung als Prävention. Illustration: Ka Schmitz.

“BABYFABRIK“ STATT BAUCHKRIBBELN

Körper, Sexualität und Geschlecht in Aufklärungsbüchern für Kinder

Woran denken Sie bei der Frage nach Sex und Kinderkriegen?
An das letzte wirklich gelungene Rendez-vous? An einen besonders berührenden Orgasmus, oder daran, wie kompliziert guter Sex manchmal sein kann? An die erste große Verliebtheit, das Glück oder Unglück des „ersten Mals“? An die körperlichen Veränderungen einer Schwangerschaft, oder vielleicht eher an den panischen Moment, als Sie nach einem möglichen „Unfall“ über dem Teststreifen bibberten? Oder an die ungläubige Freude, als es trotz des schwulenfeindlichen Sachbearbeiters doch noch mit der Adoption klappte?

Große Gefühle, gute wie schlechte. Wie werden diese komplexen Themen an Kinder vermittelt, in Büchern, die dafür gemacht wurden, sie über Sexualität und Fortpflanzung „aufzuklären“? Es gibt heute eine große Zahl deutschsprachiger Aufklärungsbücher für Vor- und Grundschulkinder, die sich oft verblüffend ähnlich sind.
Dazu gehören klassische Bilderbücher mit einem in der Rahmenhandlung versteckten „Sachbuchanteil“, die sich an Kinder ab dem Kindergartenalter richten. Bücher für Schulkinder sind häufig stärker ans Kindersachbuch angelehnt, integrieren jedoch Elemente des klassischen Bilderbuchs.

Wir haben über zwanzig dieser Bücher untersucht und sind den Themen nachgegangen, die sich zwar nicht in jedem Buch, aber doch auffallend häufig wiederholen. Dabei haben wir uns gefragt, wie hier mit Körperbildern und Sexualität umgegangen wird und welche Geschlechterkonstruktionen damit einhergehen. Uns ist aufgefallen, dass für die Beschreibung sowohl von Körpern als auch von Sexualität eine bestimmte naturwissenschaftliche Darstellungsweise verwendet wird. Deshalb gliedern wir diesen Artikel in vier Abschnitte: Körperbilder, Naturwissenschaftliche Darstellungen, Geschlechterstereotype und Sexualität.

Wenig überrascht hat uns die Beobachtung, dass fast alle Geschichten in einen einheitlich traditionellen Familienrahmen eingebettet sind. Vater, Mutter und ein bis zwei leibliche Kinder werden hier zu einer Normalität erklärt, die der Lebensrealität vieler Kinder aus Scheidungs-, Patchwork- oder Regenbogenfamilien nicht entspricht. Unerwarteter jedoch ein weiterer Punkt: Obwohl es bei Fortpflanzung und Sexualität um zwei sehr körperliche, mit großen Gefühlen verbundene Erfahrungsbereiche geht, fehlen fast durchgängig Schilderungen von Körpererfahrungen, Gefühlen und lustvoller Sexualität. Stattdessen dominieren naturwissenschaftliche Darstellungen biologischer Details. Komplexe Zusammenhänge und schwierige Begriffe werden hier nicht gescheut, während sie im Bereich der Gefühle fehlen. Die großen Emotionen, die körperlichen Erlebnisse und Grenzerfahrungen, die mit Elternschaft, Sexualität, Schwangerschaft und Geburt einhergehen, werden fast durchgängig ausgelassen.
Warum ist das so? Sind sie an Kinder, die täglich mit großen Gefühlen umzugehen haben, wirklich so schwierig zu vermitteln? Oder sind sie von Erwachsenen so schwer auszusprechen? Warum müssen die Bilderbucheltern an diesen zentralen Punkten schweigen?

Auch die nahezu völlige Auslassung von Körperflüssigkeiten wie Menstruationsblut, Schweiß, Tränen, Fruchtwasser oder Sperma überrascht. Lauern hier vielleicht Gefahren für die Sauberkeit? Darf ein ordentlicher Körper nicht tropfen, oder gibt es gar einen Zusammenhang zu den fehlenden Gefühlen? Muss die Bedeutung von Sexualität und Fortpflanzung als innerer, persönlich erfahrbarer, auch lustvoller Realität auf der Strecke bleiben zugunsten der „objektiven“ Beschreibbarkeit? Ist das „richtig“, „notwendig“, „unumgänglich“? Vor allem: Will ich das, wenn ich gemeinsam mit meinem Kind oder einer von mir betreuten Kindergruppe ein Aufklärungsbuch anschaue?

vollständiger Text in: Sonja Blattmann/Marion Mebes (Hg.): Nur die Liebe fehlt …? Jugend zwischen Blümchensex und Hardcore. Sexuelle Bildung als Prävention. Köln 2010, S. 65-81.