Aufbereitung der Ergebnisse einer partizipativen Forschungsarbeit für den Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe. Konzeption, Projektleitung, Texte. Gestaltung: Susanne Beer, Zoff-Kollektiv Berlin.
Die partizipative Forschungsarbeit von Ariana Brenssell und Ans Hartmann systematisiert das Erfahrungswissen feministischer Beratungsstellen, die seit Jahrzehnten mit traumatisierten Menschen arbeiten. Das Büchlein soll dieses Wissen in die wissenschaftlichen Debatten einbringen. Zusätzlich aber auch den Generationswechsel in den Beratungsstellen begleiten, Wissen weitergeben, identitätsstärkend und wertschätzend wirken.
(Auszug)
Hintergründe kontextualisierter Traumaarbeit
Konzeptentwicklung in der Praxis
Die Arbeit der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe entstand aus den feministischen Bewegungen gegen Gewalt an Frauen der 1970er und 1980er Jahre. Die Beratungsarbeit wurde über mehrere Jahrzehnte professionalisiert und weiterentwickelt. Methoden aus Medizin und Psychologie, aus verschiedenen psychotherapeutischen Schulen, aus Körper- und Gestalttherapie ebenso wie neurobiologische Impulse fanden Eingang in die Arbeit. Prüfstein ist dabei die Praxis: Nützt eine Methode der beratungssuchenden Person, geht es ihr dadurch besser? Und hilft diese Arbeit dabei, Gewalt gegen Frauen abzubauen? Viele dieser Methoden sind nützlich und wirksam. Darüber hinaus gibt es Besonderheiten, die die Arbeit der Fachberatungsstellen auszeichnen und dazu führen, dass von Gewalt betroffene Frauen diese Beratung oft als besonders hilfreich erleben. In dem eingangs genannten Forschungsprojekt wurde dafür der Begriff „kontextualisierte Traumaarbeit“ entwickelt.
Traumatisierung als Prozess
Wir verstehen eine Traumatisierung nicht allein als vorhersehbare Hirnreaktion auf einen Reiz oder ein einzelnes Ereignis, sondern als einen Prozess, der von vielen Faktoren beeinflusst wird. Dieses Traumaverständnis geht unter anderem auf die Arbeit von Hans Keilson und seinen Begriff der „sequentiellen Traumatisierung“ zurück. Keilson untersuchte den Lebensweg jüdischer Kriegswaisen, die die Shoa überlebt hatten über mehrere Jahrzehnte. Zentrales Ergebnis dieser Forschungen war, dass die Schwere von Traumafolgesymptomen auch wesentlich von der Zeit nach dem traumatischen Erlebnis abhängt. Daraus entwickelte er das Konzept von Traumatisierung als einem Prozess, der sich nach dem unmittelbaren Erleben von Gewalt weiter fortsetzt, beispielsweise durch Schuldzuweisungen. Die Erfahrungen während des gesamten Prozesses bestimmen die Art und Schwere der Probleme, der Beschwerden und Verarbeitungsmöglichkeiten mit.
Traumatisierung im Kontext der Gesellschaft
Menschen, die „Traumatisches“ erlebt haben, werden gesellschaftlich zunehmend im Licht einer Diagnose betrachtet, sie haben zum Beispiel eine Posttraumatische Belastungsstörung und brauchen jetzt eine „Behandlung“. Der Fokus liegt auf dem Individuum, unabhängig von den Ursachen dieser Diagnose. Wir verstehen geschlechtsspezifische Gewalt hingegen auch als Symptom einer Gesellschaft, in der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern als legitim gilt. Traumarbeit ist für uns zum einen die Arbeit an diesem Symptom, die konkrete Hilfe für gewaltbetroffene Frauen und Mädchen. Zum anderen aber auch die Arbeit an die Ursachen.
Wir betrachten Traumata, die durch geschlechtsspezifische Gewalt verursacht wurden, stets im Kontext, also im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Verhältnissen. Denn diese Traumafolgen sind keine „Krankheit“, kein „Einzelschicksal“ und keine „Störung“, sondern Folge von Gewalt. Damit stellen wir uns gegen eine Individualisierung von Traumafolgen, die das Problem ins Individuum verlagert und die Ursachen außen vor lässt.
„Die Solidarität oder das Bewusstsein, dass verursachende Ereignisse keine Privatangelegenheit sind. Denn da haben wir es mit Gewalt zu tun. Das ist etwas, was fernab von Diagnosen ist und was in der klinischen Arbeit finde ich oft völlig ausgeklammert wird. Was das letztlich für ein Trauma war, ist dann egal. Da werden die Folgen betrachtet und wie kann ich das behandeln. Und damit war’s das. Das, finde ich, ist der zentrale Unterschied bei uns: Das politische Bewusstsein dahinter.“
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Die gesamte Publikation können Sie beim Bundesverband der Frauennotrufe und Frauenberatungsstellen bestellen.